Zeitzeugengespräch

Hank Lorenz aus Canada als Zeitzeuge in Buchholz

„Die Geschichte meines Bruders ist nur eine kleine Geschichte. Sie anderen Menschen weiterzuerzählen lehrt uns, Menschen zu respektieren, zu akzeptieren, so, wie sie sind.“ So ungefähr drückte es Hank (Helmut) Lorenz bei seinem Besuch in unserer Schule aus. Er erzählte hinterher, dass er sehr aufgeregt war. Das merkte man ihm gar nicht an.

Zu unserer Überraschung stellte sich der in Kanada lebende Bruder von Dieter Lorenz in deutscher Sprache vor. Dieter – das war eines der Kinder, mit dessen Biografie wir uns zur Vorbereitung auf den Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus beschäftigt haben. Der Besuch von Hank gab den Schülerinnen und Schülern am 29.09.2015 die einmalige Gelegenheit, nun mit einem Angehörigen und Zeitzeugen zu sprechen. Und Hank kam nicht allein:

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Begleitet wurde er von seiner Frau Marylin, seinem Cousin Mario, der Historikerin Carola Rudnick (die uns mit Rat und Tat sowie tollen Materialien bei der Vorbereitung des Gedenktages unterstützt hat), einer ehrenamtlichen Mitarbeiterin der Gedenkstätte in Lüneburg und einer Journalistin, die über diesen Besuch berichtet.

Hank betonte, dass er sehr glücklich sei, dass die Geschichte seines Bruders nicht in Vergessenheit geraten ist. Sein Vater hatte viele Dokumente, Bilder, Briefe von damals gesammelt und in einem großen Koffer verwahrt. Aber die Eltern von Hank haben nie darüber gesprochen, was mit seinem Bruder passiert ist. So hat er noch bis vor drei Jahren geglaubt, dass Dieter während des Krieges einfach verloren gegangen ist und vielleicht noch lebt.

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Es war sehr spannend zu erfahren, wie die Wahrheit ganz zufällig ans Licht kam:
Mario aus Thüringen hat im Internet einen Stammbaum von seiner Familie erstellt. Mit dem selben Computerprogramm hat das auch die Familie von Hank gemacht. Und dann fragte das schlaue Programm irgendwann: Kann es sein, dass ihr miteinander verwandt seid? Was für ein Zufall! Denn genau zu dieser Zeit fragte Carola in einem Zeitungsartikel, ob es noch Angehörige von Dieter Lorenz gibt, die helfen können, sein Schicksal aufzuklären. So kam plötzlich eins zum anderen. Mario telefonierte mit Carola, Hank fand den Koffer mit den Dokumenten seiner Eltern, und so konnte die Geschichte von Dieter endlich geklärt werden. Darüber ist Hank sehr glücklich, auch wenn es ihn natürlich gleichzeitig traurig macht, dass sein Bruder nur 2 1/2 Jahre alt werden durfte.

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Die Schülerinnen und Schüler kannten die Geschichte von Dieter, und sie haben sich viele Fragen überlegt, die sie Hank stellen wollten. So wollten sie z.B. wissen, ob es damals genug zu essen gab, und ob es auch genug war. Alle waren ganz erstaunt, als Hank erzählte, dass er nach dem Krieg 6 Jahre lang nur Kartoffeln gegessen hat. Es gab nichts anderes. Trotzdem hatte er eine gute Kindheit. Er hat 8 Jahre in der Nähe von Wuppertal gelebt, ist immer mit dem Fahrrad zum Bauernhof gefahren, um Milch zu holen. Und er weiß noch, dass er Obst gegen Schokolade getauscht hat. Die bekamen sie von den amerikanischen Soldaten.

An Dieter kann sich Hank nicht mehr erinnern. Er war ja selbst erst 4 Jahre alt, als sein kleiner Bruder verschwand. Der Vater war als Soldat im Krieg, und weil die Mutter alleine mit drei kleinen Kindern nicht das Werkzeuggeschäft führen konnte, brachte sie Dieter – den Jüngsten – in ein Kinderheim. Dort sollte er nur vorübergehend bleiben. Die Familie lebte in Eindhoven in den Niederlanden in der Nähe des Flughafens, und weil dieser während des Krieges oft bombardiert wurde, durften die Kinder nur selten draußen spielen. Eines Tages wurde – wahrscheinlich auch wegen eines Bombenangriffs – das Kinderheim evakuiert, und dann war Dieter weg und nicht mehr wiederzufinden. Die Eltern suchten natürlich nach ihm, aber als sie endlich herausfanden, dass er in Lüneburg war, war Dieter schon gestorben. Hank und Rolf – die beiden älteren Brüder – haben von ihren Eltern aber nie erfahren, was wirklich geschehen ist. Vielleicht wollten sie nicht, dass die Kinder traurig sind.

Hank erzählte, dass er als Kind nie ein eigenes Zimmer hatte. Zusammen mit seinem Bruder Rolf hat er im Wohnzimmer auf der Couch geschlafen, später dann in einem Schrank, den man aufklappen konnte. Da drin war dann ein Bett für die Beiden. Erst jetzt hat Hank ein eigens Zimmer für seine Hobbys: Er baut an seiner 8 Meter langen Modelleisenbahn (denn er hat schon als Kind gerne Züge angeschaut), er malt, baut Möbel aus Holz...

Die Schüler wollten wissen, warum sich Hank nicht mehr Helmut nennt, denn das war ja sein deutscher Name. Hank erzählte, dass der Vater nach dem Krieg mit der Familie ein neues Leben beginnen wollte. In Deutschland war es sehr schwer zu leben – alles war zerstört, es gab nicht genug zu essen. So wanderte die Familie Lorenz nach Kanada aus. Hank erinnert sich daran, dass sie im April 2 Wochen mit dem Schiff über den Nordatlantik gefahren sind. Es gab sehr hohe Wellen, und er war eine Woche lang seekrank. Zu essen gab es nur Corneflakes. Die Jungs haben mit Toilettenpapier auf dem Schiff Fußball gespielt. Wenn der „Ball“ über Bord ging, hatten die Fische was zu fressen...
Helmut war 12 Jahre alt, als er nach Kanada kam. Er konnte kein Wort Englisch, und seinen Namen konnte keiner aussprechen. So nannte er sich zuerst Henry, bis er feststellte, dass so auch ein Schokoladenriegen in Kanada heißt. Das fand er natürlich nicht so toll, und deshalb wurde aus Henry dann Hank.

In Kanada kam Hank in die Schule, verdiente sich als Teenager Geld mit Obst pflücken. Später besuchte Hank die Universität, arbeitete in einer Papierfabrik und in einer Zementfabrik, um seine Ausbildung zu finanzieren. Hank wurde Lehrer für Naturwissenschaften, später arbeitete er auch als Kunstlehrer. Er heiratete vor über 50 Jahren Marilyn (und sie lieben sich immer noch, betonte diese!). Die Beiden haben eine Tochter und einen Sohn sowie zwei Enkelkinder. Die Familie ist schon sehr gespannt, was sie alles in Deutschland erlebt haben.

Hank war nach der Auswanderung nach Kanada schon 2 mal in Deutschland: 1977 mit seinem Vater, und dann 2013 , als er den Kontakt mit seinem Cousin Mario aufgenommen hat.
Hank betonte, dass er sehr dankbar dafür ist, dass er bei uns in der Schule sein durfte. Er hat sich sehr, sehr wohl gefühlt und sich gefreut, dass wir hier so tolle Lernmöglichkeiten haben. Auch seine Frau bedankte sich für den tollen Tag.

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Zum Abschied freuten sich die Gäste über die Kaffeebecher mit unserem Schul – Logo. Es war ein sehr beeindruckendes Gespräch, und wir werden es noch sehr lange in Erinnerung behalten.